Irgendlink links water

Wasser an der Kette  © Irgendlink

Nächtelang hatte sich Herr I. grausam geärgert, weil das Wasser der See sich ständig wieder schamhaft zurückzog und ihm verwehrte, aufs weite Meer zu entkommen. Nach dem ersten Schluck seines bitteren Morgenkaffees fiel ihm die Lösung ein. Warum war er nicht früher darauf gekommen? Warum hatte er sein Leben lang auf die Flut gewartet und war von der Ebbe bedroht worden?

Wasser © Irgendlink

Herr I. wollte das Meer anketten, es festhalten mit einer stabilen Kette, die in seinem windschiefen Schuppen still vor sich hinrostete. Da er an den wogenden Wellen keinen Punkt fand, an dem er einen Schäkel anbringen und die Kette befestigen konnte, nahm er stattdessen sein Boot, das sich sehnte, die Umarmung des weichen Wassers in Ewigkeiten auszudehnen. Sein Boot, das ob jener Idee schamhaft errötete, würde, so hoffte Herr I., hingebungsvoll in Ketten gelegt das Wasser zitternd halten.

Dem wilden Wasser allerdings gefiel dieses Unternehmen gar nicht. Eine solche Dreistigkeit ließ sein blaues Antlitz vor Ärger grün anlaufen. Wusste denn Herr I. nicht, dass Ketten und Wasser sich spinnefeind sind?

Wasser © Irgendlink

Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben. Und so riefen die wogenden Wellen ihren Verbündeten, den Rost herbei, jenen Gestaltwandler, der das Harte mit der Zeit besiegt.

So kommt es, dass heute wieder das Meer ständig an- und abschwillt. Herr I. war unterdessen alt und grau geworden, zu alt um noch die wilden Wellen zu befahren. Vor seinem bitteren Morgenkaffee träumte er schmunzelnd von seinem angeketteten Boot im Hafen.

Copyright Photos: Irgendlink
Copyright Text: Klausbernd Vollmar

40 thoughts

  1. Armer Herr I.: Wenn er doch nur gewusst hätte, dass es einfach eine wesentlich größere Anzahl Ketten bedurft hätte (und auch Anker, aber das versteht sich ja von selbst)…

    Schöne Bilder und ein wunderbarer, sehr unterhaltsamer Text! Danke!

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    • Ja, ja, dieser Herr I. hätte viel mehr Links, also Kettenglieder gebraucht, aber, ach, oh weh, in seinem windschiefen Schuppen fand er nur solche kurzen Ketten. Aber ich kann nur sagen “zum Glück!”, denn sonst wär`s Schluss mit dem wogenden Meer gewesen.

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    • Ich danke dir für den netten Besuch! 🙂
      Du hast wunderschöne Wasserbilder auf deinen Blog, meine Adresse kennst du, oder?
      😉
      Liebe Wochenendgrüße
      Dina & Co

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  2. Ein sehr besinnlicher Text un d wu nderbare Fotos!
    Liebe Grüße aus dem südlichen Texas,
    Pit
    P.S.: Gut, dass das Meer jetzt wieder anschwillt, denn wie würdest Du, Klausbernd, sonst mit Deinem Boot rauskommen, um den Pit herum. 😉

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    • Ich sag dir, lieber Pit, sehr gut ist das. Und überhaupt, wenn der Mensch in die Gesetze der Natur eingreift, geht das häufig schief.
      Liebe Grüße aus dem nun wieder sunny Norfolk, wo wir gerade im Garten wühlten. Ein Geheimnis noch: Unsere liebe Selmafee war so aufgeregt von der Geschichte, dass sie schnell zum Boot flattern musste, um zu schauen, ob der Gezeitenstrom noch unermüdlich fließt.
      Es grüßen dich fröhlich 🙂
      Dina, die Buchfeen und ich

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    • Hallo Klausbernd,
      das erinnert mich an eine Geschichte, die ich als Kind mal gelesen habe, von einem Bauern, der mit dem Wetter unzufrieden war und mit Gott darüber haderte und dem Gott erlaubt hatte, selber das Wetter zu machen. Und Alles war wunderbar. nach der Ernte ließ der Bauer es regnen, und dann ließ er genug Sonne scheinen, und das Getrede wuchs ganz prächtig. Aber als es dann ans Ernten ging, war nichts auf dem Halm, denn der Bauer hatte den Wind vergessen, der für die Bestäubung sorgen musste. Fnd und finde ich – insbesondere wenn es um den menschlichen Einfluss auf die Natur und da die Gedanken, das Kloima künstlich zu beeinflussen – sehr beeindruckend, um nicht zu sagen, erschreckend.
      Apropos Selmafee, die nachschauen musste, ob der Gezeitenstrom immer noch fließt: klar doch, man muss immer wieder nachschauen, ob das Meerr, wenn es sich einmal zurückgezogen hat, auch wiederkommt.
      Liebe Grüße aus dem südlichenTexas and Euch alle in Norfolk,
      Pit

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  3. klasse bilder … das letzte sehe ich hier zum ersten mal. es sind sooo viele. zu viele, als dass ich sie schon alle hätte gucken können …
    rost ist stärker als wasser als worte als zeit als flut … rost ist die zukunft 😉

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    • Klar doch, und soll ich dir etwas erzählen, wenn die Kommunisten zitiert wurden “die Zukunft ist rot” beruht das auf einem Schreibfehler Lenins, der im Deutschen nicht so sicher war. Natürlich hatte er gesagt “die Zukunft ist Rost”. Der einzige, der Lenin recht verstanden hatte, war der spitzbärtige Stalin, der daraufhin die Entwicklung der Schwerindustrie forcierte.

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    • Sorry, liebe SoSo
      deinen Kommentar ist aus irgend einem linkischen? Grund bei den Spams gelandet, jetzt habe ich dich sanft rausgeholt. Vielen Dank fürs Kommentieren und ganz herzlichliebe Grüße an dich und Jürgen aus North Norfolk.
      Wir haben uns sehr über die Leihgabe der BIlder gefreut. Very inspiring!
      🙂
      Dina & Co

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  4. gut, dann probier ich nochmals, nachdem der erste kommentar verschwunden ist.

    tolle bilder! das letzte kenn ich noch nicht. wie auch, wo es so viele sind. ich guck mich immer ein bisschen weiter durch die fülle 🙂

    rost mag ich. rost ist stärker als wasser als flut als metall als … rost ist zukunft. rost ist leben und tod. wandlung. ewigkeit. vergänglichkeit. alles zugleich.

    herzlich, soso

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    • Hi!
      THANKSASTHANKSCANBE
      an den lichtBILDwerfer vom Horribilliscribifax

      Greatings back, Klausbernd
      “und von uns Buchfayries”, rufen Siri & Selma, die gerade für güldne FayrieTaler mein Auto waschen

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    • Moinsen Klausbernd !

      H_I_G_H_ _F_I_V_E ! ! !

      You are learning tippitoppi
      in the HAMMerVOLLgaloppi

      RESCHPEKTDICHSELF ! ! !

      Greetz KRASSzurück, auch an MÄDELS de conte de fée !

      Wiederschaun. ReinGEhaun – euer lightpicturethrower

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    • Liebe Mathilda,
      manchmal muss man Ketten sprengen, manchmal genießt man die Ankettung.
      Es kommt stets auf die Verkettung der Umstände an 😉
      Liebe Grüße von der sonnig warmen Küste
      Klausbernd und die ganze Meschpoke aus dem kleinen Dorf am großen Meer

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  5. Ja, der Herr I. , warum soll er sich nicht auch mal als Don Quichotte versuchen? Der eine kämpft mit den Windmühlenflügeln und der andere will das Meer anketten.*kopfschüttel
    Ich bin aber froh, dass der Rost das zu verhindern wusste. 😉

    Fein, amüsanter Schmunzel-text zu schönen Fotos.

    Liebe Grüße, Szintilla

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    • Liebe Szintilla,

      vermutlich hat Herr I. wie unser wackerer Ritter von der traurigen Gestalt zu viele Bücher gelesen.Besonders Miguel de Servantes musste er wieder und wieder eifrig durchblättern, diese und jene Episode vor dem Einschlafen studieren, und so träumte er nachts vom Sieg über das Wasser, weil dieser blöde Don aus La Mancha ja bereits gegen die windige Luft angetreten war.
      Nach diesen Träumen geschah es, dass er sich ein Motto wählte. Und, liebe Szintilla, jetzt rate mal, was er sich erwählte? Na klar, du weißt es: “Heilger Sancho Pansa, errette uns”. Er ließ es in weinroter gotischer Schrift in sein güldenes Wappenschild über der Haustüre schreiben.

      Mit lieben Grüßen von uns aus Cley-next-the-Sea
      Klausbernd

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    • Herr I. tritt auch als “Geier Sturzflug” auf, einem nahen Verwandten des leider viel zu früh verstorbenen Ikarus, einem Architekturstudenten aus Kreta.
      Liebgrüß zurück vom sommerlichen Norfolk
      Klausbernd
      P.S.:
      Das wollte ich dir immer schon schreiben: In der Zeit, als du hier entlang radeltest, hatten wir 28% mehr Niederschlag als im Zehnjahresmittel.

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  6. Köstlich zu lesen und sehen!
    Auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen, sich mit dem Wasser derart anzulegen.
    Es gefällt mir, dass Herr I. darüber im Alter schmunzeln konnte. Mit seinem “bitteren” Getränk ist er offensichtlich noch nicht weiter gekommen!

    ..grüßt Monika

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    • Nein, liebe Monika, wenn Herr I. sich auch im Alter milder Weisheit hingab, änderte er seinen Geschmack jedoch nicht. Aber immerhin trank er seinen bitteren Kaffee ganz ohne Bitterkeit.

      Frohe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer
      Klausbernd und die munteren Buchfeen Siri & Selma 🙂 🙂

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    • Lieber Emil,

      ganz, ganz lieben Dank, dass du mit diesem Lied die politische Dimension meines Textes ansprichst. Sowohl die Gruppe BOTs als auch ich beziehen uns auf ein wunderbares Gedicht von Bert Brecht. Während er im dänischen Exil in Svendborg am Meer lebte, über seinem Schreibtisch das Schild “Die Wahrheit ist konkret”, schrieb Brecht “Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration”. Als der Weise an die Grenze des chinesisches Reiches kommt, trifft er am “vierten Tag im Felsgesteine” auf den Zöllner. Dieser fragt:

      “Kostbarkeiten zu verzollen?” – “Keine.”
      Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: “Er hat gelehrt.”
      Und so war auch das erklärt.

      Das habe ich nur zur Freude der Lehrer angeführt 😉 Jetzt folgt die Wassermetapher in der nächsten Strophe:

      “Doch der Mann in einer heitren Regung
      Fragte noch: “Hat er was rausgekriegt?”
      Sprach der Knabe: “Dass das weiche Wasser in Bewegung
      Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
      Du verstehst, das Harte unterliegt.”

      Das schrieb Brecht in den Dreißiger Jahren, “denn die Güte war war im Lande wieder einmal schwächlich/Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.”
      Für mich ist die Wassermetapher eng mit diesem Brecht-Gedicht verknüpft und eine politische Lesart meines Textes ist durchaus erwünscht.

      Vielen Dank für deinen Kommentar und noch einen rundum angenehmen Sonntag wünscht
      Klausbernd

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    • Oooohhhh. OOOOOoohhh!

      Muß ich den Brecht doch einmal in Gänze mir zumuten. Als da, wo ich jetzt wohne, noch ein anderes Land, gar eine andere Welt und meine Heimat war, las ich nur von ihm, was ich lesen mußte. Später kamen mir seine Liebesgedichte unter die Augen … Und das Lied ist auch nur in meiner Erinnerung geblieben, weil ich es selbst oft gesungen habe, im Singeclub und am Lagerfeuer …

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  7. Lieber Emil,

    Brecht lesen lohnt sich, Brecht sehen noch viel mehr.
    Unter seinen Gedichten ab der Svendborger Zeit (Mitte der Dreißiger Jahre) finden sich Perlen der deutschen Lyrik. 1956, kurz vor seinem frühen Tod, schrieb er dann anmutige Naturgedichte, die hintergründig Kritik an der Regierung übten. Dazu war er ein Theatergenie, seine Theorie und Praxis des epischen Theaters war revolutionär nicht nur im politischen sondern auch im künstlerischen Sinn. Deswegen fiel er auch mit seinem in Hollywood gedrehten Film “Kuhle Wampe” durch. McCarthy wollte (Göbbels vergleichbar) Hollywood als Manipulationselement (dem kam Lee Strassbergs method acting entgegen, das Identifikation schaffen soll), Brecht dokumentierte mit dem Aufstellen der Schilder (ja, Brecht liebte Schilder) “Glotzt nicht so romantisch”, dass er sich an ein reflektierendes Publikum richtet. Seine Stücke sind für mich postmodernes Theater, da er stets darauf bedacht war zu zeigen, dass seine Stücke Theaterstücke und keine Realität sind. Ich sah vor einigen Jahren in der Hamburgischen Staatsoper die “Dreigroschenoper” und ein Jahr später “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” – supergut gealtert kann ich nur sagen.
    Huch, sorry, jetzt ist meine Brecht-Leidenschaft mit mir durchgegangen. Wir sind ja beim Wasser, das auch Brecht fasziniert hat. Seeräuber-Jenny gehört zu einer der beliebtesten Figuren Brechts (nach Mutter Courage), den immer das Zwielichtige anzog. Das Lied von Seeräuber-Jenny (und noch einige andere Brechts Songs) hat Marianne Faithful nach Lotte Lenya für mich am besten gesungen.
    Genug der Brechterei. Sorry, aber ich wollte dich ein wenig für Brecht begeistern. Aber aufgepasst, Brecht hat auch einige fürchterlich aufdringliche kommunistische Gedichte geschrieben, die man heute nicht mehr lesen kann.

    Liebe Grüße
    Klausbernd

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    • Meistens ergeben sich spontan kreative Projekte wie dieses, bei denen die Zusammenarbeit relativ einfach ist. Bei Profis ist das doch selbstverständlich meiner Erfahrung nach.
      Danke für deinen lobenden Kommentar.
      Grüße aus dem hochsommerlichen Cley-next-the-Sea
      Klausbernd

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  8. Liebe Dina, lieber Klausbernd 🙂

    Nun hab ich endlich mal die Ruhe und Zeit, um hier nachzulesen und zu schauen, was ich Wunderbares und Inspirierendes verpasst hab in meinem Urlaub. Von den Beiträgen zum Thema Wasser bin ich rundum begeistert, in Wort und Bild .. es ergänzt sich perfekt 🙂

    Grad les ich hier noch ein wenig in den Kommentaren .. über die Gruppe BOTS .. in meiner alten leider schon recht verstaubten LP-Sammlung müßte das Album schlummern .. So schöne Songs und sehr nachdenkenswerte Texte – gerade auch das von Emil und dir erwähnte Lied. Und natürlich “Sieben Tage lang” ..(wenn der Titel so heisst .. 😉 ) auch ein toller Song über Zusammenhalt und was man gemeinsam alles schaffen kann .. so eben auch Ketten sprengen, die Lebendes auf dieser Erde fesseln und niederhalten.

    Vielen Dank an alle für diese tollen Beiträge, und ich freu mich schon auf mehr 🙂

    Ah..liebe Dina, ich hab nun in meinem Blog über die Nagel-Erfahrung berichtet 😉

    Ganz liebe Grüsse zu Euch allen nach Norfolk,
    Ocean

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  9. Dank dir, liebe Ocean, ich hoffe, du hattest einen rundum feinen Urlaub.
    Mir bereitet es Freude, mich von den Bildern zu kleinen Geschichten inspirieren zu lassen. Die Fotos sind richtig anregend.
    Dina fotografiert gerade im Garten und lässt liebe Grüße bestellen, Siri und Selma auch, sie sind bei der Hitze zum Strand geflogen.
    Liebe Grüße von kleinen Dorf am großen Meer
    Klausbernd 🙂

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