Die Frau und das Meer – Denise Maurer und Klausbernd Vollmar

© Denise Maurer

Log vom September 2012
das genaue Datum weiß ich nicht

Dass ich mit meinem Boot bis hierher gekommen bin, der hungrigen See entkommen, wundert mich noch immer, während ich diese Zeilen zitternd schreibe.
Mein blaues Boot in den blauen Wassern musste Poseidon, die Nixen und Undinen doch ob dieser Hybris stark erzürnen. Zu Beginn meiner Irrfahrt in jenen fröhlichen Tagen hatte ich es wirklich Navy Blue in alter Tradition gestrichen. Davor hatten mich einige meiner Lieben mit tiefen Sorgenfalten auf ihrer Stirn gewarnt. Aber wer hört schon auf andere? Außerdem kam hinzu, dass ich mich beweisen musste, es ihnen zeigen wollte, dass Seewasser auch in meinen Adern fließt.
Kurz vor meiner Abfahrt hatte ich von Coleridge “Die Ballade vom alten Seemann” gelesen. Mein Freund hatte mir dieses Logbuch geschenkt, auf dessen erste Seite er dieses Gedicht in zierlicher Handschrift mehr gemalt als geschrieben hatte. Und nicht nur das, er war mit mir zu dieser Statue des alten Seefahrers in Sumerset gefahren. Abends, als keiner schaute, selbst nicht er, habe ich sie sogar schluchzend umarmt.
Vielleicht ging alles schief, weil ich eine Frau bin? Man spricht doch stets vom Seemann, ich jedoch bin eine Frau, nein, keine Nixe und selbst keine Piratenbraut, eben einfach eine Frau. Dass ich keine Seefrau bin, weiß ich erst jetzt. Vorhin überlegte ich, knapp gerettet, ob die See nicht ein Ort der Männer sei. Sie ist weiblich und liebt den Mann.

© Denise Maurer

Und was hat es mir genutzt, dieses Gedicht, das den Beginn der englischen Romantik bildete (wie mir mein Freund erzählte)? Romantisch war meine Seefahrt wirklich nicht gewesen, oder doch? Schaurig war sie allemal.
Alles was mir geblieben ist, sind zwei verbeulte Wasserflaschen, deren Wasser bereits fragwürdig schmeckt. Aber ich liege doch gar nicht vor Madagaskar, wo bekanntlich das Wasser fault. Dass auch bei mir einer über Bord gegangen war, darüber will ich jetzt gar nicht schreiben.
Alles nahm mir das Meer, bis auf diese beiden Plastikflaschen – aber immerhin. Ich lebe noch!

© Denise Maurer

Log ein Tag später
der zweite Tag an Land

Versteckt hinter einem struppigen Busch schlief ich unruhig am Strand, in meiner nicht ausrottbaren Angst, gefunden und über die Vorfälle auf See befragt zu werden.
Bei meinen Erkundungen vorhin fand ich eine schwer zugängliche Quelle. Um sie zu erreichen, werde ich mich mit dem freilich etwas brüchigen alten Seil, das ich am Ufer fand, abseilen. Frisches Wasser, das ist genau das, was ich jetzt brauche.

So stand es in dem Tagebuch geschrieben, das man in der Hosentasche der angeschwemmten Wasserleiche fand.

Copyright alle Fotos: Denise Maurer
Copyrigth Text: Klausbernd Vollmar

47 thoughts

  1. Wasser und Leichen, tja, da besteht wohl eine Affinität… obwohl diese schönen Bilder es nicht auf Anhieb vermitteln.
    Der Titel lässt viel Raum, es könnte eine große Geschichte dahinter stehen – steht auch! 🙂
    Interessante Frage: ist das Meer weiblich?
    ..grüßt Monika

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    • Ich bin sozusagen ein Anhänger der klassischen Argumentation, dass das Meer weiblich ist, da “mare” und “mater” (wie auch “materia”) die gleiche indogermanische Stammsilbe besitzen. Symbolgeschichtlich kann das Meer nur weiblich sein, da es als Ursprung allen Lebens angesehen wird. Vielleicht fiel euch schon auf, dass bei den antiken Kastrierungsgeschichten der Penis oder öfter noch der männliche Samen ins Meer fällt (und es befruchtet). In der Antike wurde nach Erich Neumanns Klassiker “Die große Mutter” das Meer häufig als die furchtbare Mutter im Gegensatz zur fruchtbaren Mutter angesehen.
      Aber vielleicht weiß einer von euch, wie es dazu kam, dass der Ozean männlich und das Meer sächlich im Deutschen wurde. Leider sind Siri und Selma nicht mehr hier, die das für mich recherchieren könnten.
      Liebe Grüße von der sonnigen Küste Norfolks
      Klausbernd

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    • Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen der Bezeichnung Meer, Ozean und See?
      Cley next the Sea liegt an der North Sea, wir sagen, “wir gehen zum Meer”, wenn wir zum Strand gehen. Auf Norwegisch würde ich eher sagen, lasst uns zum See gehen, auf Deutsch klingt Meer richtig, wenn ich an die Küste Norfolks denke. Entspringt dem jetzt eine romantische Vorstellung oder ist die Bezeichnung Meer für die Nordsee richtig?
      Liebe Grüße aus Bonn
      Dina

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    • Liebe Dina,
      unsere liebkluge Sirifee ist dieser Frage nachgegangen und bekam die freundliche Unterstützung von Herrn Dr. H. U. Lass, IOW (Institut für Ostseeforschung, Warnemünde), bei dem sie sich herzlich bedankt. Dieses Institut hat übrigens kürzlich ein Forschungsschiff in Betrieb genommen, das es auf den Namen der Thomas Mann Tochter Elisabeth Mann Borgese taufte – aber das nur nebenbei.

      Ozean – im Deutschen männlich
      Kontinente und die ihnen vorgelagerten Inseln gliedern das zusammenhängende Weltmeer in drei Ozeane, den Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean. Der Ozean ist also die größte Wasserfläche und ich, Sirifee, vermute hier patriachales Denken: Da er groß ist, muss er männlich sein.

      Meer – im Deutschen sächlich
      Festlandflächen und Inselketten schnüren einzelne Meeresgebiete mehr oder weniger ab und machen sie zu Nebenmeeren der betreffenden Ozeane. Man spricht von Randmeeren, wenn sie dem Festland randlich angelagert sind wie die Nordsee bei uns hier, und von Mittelmeeren wenn sie in größerer Breite vom Land umschlossen sind wie das Europäische Mittelmeer. Allen diesen Meeren ist gemeinsam, dass sie mit den Ozeanen durch Meeresstraßen verbunden sind. Also gehen wir zum Meer, wenn wir in Nord-Norfolk zum Strand gehen. Warum das Meer sächlich ist? Keine Ahnung.

      See – im Sinne von die See, im Deutschen weiblich
      Die See scheint kein ozeanografischer Begriff zu sein. Sie ist ein gebräuchlicher Überbegriff, der für Ozean und Meer benutzt werden kann. Damit bezeichnet sie die größte Wassermasse. Warum sie nun weiblich ist, habe ich keine Ahnung. Der Ausdruck DIE See ist zuerst in den westgermanischen Sprachen belegt und setzt sich erst im Neuhochdeutschen durch (im 17. Jh. tritt er dann in Zusammensetzungen wie Seemann, Seehund etc. auf).

      Ganz liebe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer und herzlichen Dank an Siri Buchfee (die auch das Lehrbuch “Allgemeine Meereskunde” von Dietrich und Kalle konsultierte) und an Herrn Dr. Lass
      Klausbernd

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    • “Das grammatische Geschlecht von Wörtern entspricht nicht immer dem natürlichen Geschlecht des Bezeichneten. „Die Mutter” und „der Vater” siind dann wohl eher Ausnahmefälle. Mark Twain klagte in seinem Essay „Die schreckliche deutsche Sprache”: „Im Deutschen hat ein Fräulein kein Geschlecht, wohl aber ein Kürbis.” Ob nun „Kürbis” oder „Ozean” – wie Substantive grammatisch einmal als männlich, dann wieder als weiblich oder sächlich eingeordnet werden, ist von Sprache zu Sprache verschieden und erscheint auf den ersten Blick willkürlich. So finden sich neben dem sächlichen „Meer” die weibliche „See” und der männliche „Ozean”. Das lateinische Wort „mare” ist ein Neutrum. Die meisten romanischen Sprachen haben aber kein Neutrum mehr, und wie im Spanischen „el mar” sind solche Wörter in der Regel dem Maskulinum zugeschlagen worden. Aber es gibt Ausnahmen: Im Ausdruck „en alta mar”‚ „auf hoher See”, ist das Wort „mar” feminin. Und dieses Genus hat sich im französischen „la mer” durchgesetzt. Ob also das Meer eine Frau ist, wie der kapverdische Dichter Eugénio Tavares behauptet, lässt sich zumindest anhand von Grammatik und Sprachgeschichte weder beweisen noch widerlegen.”

      So konkludiert Selma Buchfee nachdem sie Mare online konsultiert hat, dort hat man genau die richtige Antwort auf unsere Frage gewusst:

      Warum ist das Wort für Meer im Deutschen sächlich, im Französischen weiblich und im Spanischen männlich?

      Liebe Grüße, leider weit weg vom Meer
      Dina, Siri und Selma

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    • Eine wunderbare Zusammenarbeit von euch 3, Denise, Dina und Klausbernd!

      “Die schrecklcihe deutsche Sprache” von Markt Twain hätte ich gerne, können die Buchfeen mir bitte helfen es aufzutreiben?

      Ha det bra!

      Eure Buchdame

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    • Seitdem Arthur Rimbaud “Orphélie” verlöffentlichte und dieses Gedicht 1907 von Karl Klammer ins Deutsche übersetzt wurde, gab es derart viele, speziell expressionistische Nachahmer, dass Literaturhistoriker den Begriff “Wasserleichenpoesie” prägten. Georg Heym, Gottfried Benn, Paul Zech und Trakl schrieben über Wasserleichen und besonders faszinierte dieses Thema Bert Brecht, der es öfter in seinem Werken aufnahm. – Ein übrigens tiefenpsychologisch interessantes Thema …
      Lieben Gruß
      Klausbernd

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    • Hi Monika,
      man kann es als männliche Projektion oder weiblichen Wunsch sehen: die absolute Hingabe, fließen, willenlos, feucht. Die Frau geht in ihr Element ein, wird mit ihm eins. Das Locken des Weiblichen, das Goethe in seinem Gedicht “Der Fischer” mit der Wassermetaphorik anspricht. Eros und Thantos fallen in eins, die Dualität – auch als innere Spaltung – wird überwunden. Nach Jung und Erich Neumann: Der Mann trifft auf seine Anima, aber sie ist tot, lebt nur als Sehnsucht.
      So etwa …
      Liebe Grüße von der stürmischen Küste
      Klausbernd

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  2. Liest da grade jemand zu viele Krimis?

    Wenn das so weitergeht, trau ich mich bald noch nicht mal mehr barfuß am Strand entlang zu gehen. *mbg* Trotzdem eine interessante Geschichte, die viele Fragen aufwirft. Bei den Bildern ist das Letzte mein Favorit.

    Liebe Grüße, Szintilla

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    • Nein, du wirst dich wundern, liebe Szintilla, ich lese fast keine Krimis. Die Krimispezialistin in unserer Runde ist Tantchen aus Köln. Es geht hier nicht um die klassische Krimistruktur whodunnit, sondern um den subtilen Mechanismus der Projektion oder um es mit Freud zu sagen, um Eros und Thanathos.
      Liebe Grüße
      Klausbernd

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    • Lieber Georg,
      einen Albatros zu töten bringt Unglück, besonders wenn dies auf See geschieht. Das geht auf das antike Griechenland zurück, in dem der Albatros als heiliger Vogel des Meergottes Poseidon verehrt wurde.
      Das Töten eines Albatros wurde seit 1798, als Coleridge sein wohl berühmtestes Gedicht schrieb, ein Topos in der Weltliteratur, dem selbst Carl Barks die Comic-Geschichte „der Fluch des Albatros“ widmete (mit Donald Duck und Tante Daisy aus den fünziger Jahren). Eine Neuerscheinung zu diesem Thema erschien gerade bei mare “Die Ballade vom Seeman und Albatros” von Nick Hayes.
      Coleridge muss um des Dramas willen den “ancient mariner” den Albatros töten lassen, vielleicht um anzudeuten, dass der Seefahrer zum Übermut neigt mit seinem undemütigen Handeln. Das ist ein wesentliches Thema der englischen Romantik: Der Mensch greift in die Natur ein und es wird schauerlich wie bei Mary Shelleys “Frankenstein”. Kulturhistorischlässt sich dies wohl auf die grundlegende Veränderung der englischen Landschaft durch Capability (Lancelot) Brown und William Kent zurückführen, die Goethe in seinem erotisch-alchimistischen Roman “Die Wahrverwandtschaften” angreift.
      Ganz liebe Grüße aus Cley, wo gerade große Schwärme arktischer Graugänse schreiend über mein Haus fliegend den Herbst ankündigen
      Klausbernd

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    • Sehe ich auch so: schön-fies-schön das Boot wie die Waserleichen …
      Liebe Grüße an dich und deinen Hausgeist
      Klausbernd

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  3. Ganz liebherzlichen Dank an Denise und Klausbernd für diesen tollen Beitrag!
    Auch vielen Dank für die interessanten Kommentare und kluge Antworten. Es macht richtig Spaß mit Euch.
    Dina

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  4. spannende Fotos und der Text ist passend… viel mehr zu schreiben bin ich noch nicht in der Lage! Tausend Dank an Soso und Klausbernd

    es grüßt euch herzlichst Frau Blau, dessen Seele jetzt vielleicht im französischen Jura angekommen ist ;o), immerhin sehe ich den blauen Himmel überm schwarzen Walde…

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  5. That aquamarine blue boot, half sunken, is wonderful. I would have great difficulties to walk away from it. I would somehow like to take its colours home and paste them on my canvas. I would take a bit of the watery blue of the sea, and the ethereal blue of the sky, and constrast that with the earthy brown of the beach sand with shells.

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  6. Thank you for visiting my blog. I love your blog and think that photography is an international language. Photographs are much beter than words, but that is just a personal thing as I haven`t learned many other laguages. I think most English people are lazy that way. 🙂

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