Lichtschwärmereien im Norden

“Die Nächte waren hell und voll Sonne.
So recht ein Wetter zum Lustwandeln und Schwärmen.
Die jungen Leute zogen nachts über die Straßen,
sangen und schlugen mit Weidenzweigen in die Luft.”

Knut Hamsun, „Schwärmer“

Die Lofoten

Alle sehnen sich nach Sonne. Warum tut die uns so gut? Und warum meinen so viele Sonnenhungrige immer in den Süden fahren zu müssen?
Es ist eigentlich erstaunlich, dass die Fitnessgeneration, immer auf der Suche nach allem, was fit- und anmacht, den Norden noch nicht richtig entdeckt hat. Und dass die Reiseveranstalter zwar brav mit dem optischen Zauber der Mitternachtssonne werben, aber den eigentlichen Kick kaum erwähnen: wie die 24-Stunden-Lichtdusche den Körper berauscht, die Sinne belebt, die Potenz steigert und den Verstand ausschaltet”, schreibt Peter Marx so treffend.

“Es begann nicht mehr Nacht zu werden, die Sonne tauchte kaum die Scheibe ins Meer hinab und kam dann wieder empor, rot, erneuert, als sei sie unten gewesen und habe getrunken. Wie merkwürdig es mir ergehen könnte in diesen Nächten … kein Mensch würde es glauben”

 Knut Hamsun, “Pan”

Neulich besuchten Siri und ich, SelmaFee, Freunde von Dina auf den Lofoten. Da bekamen wir täglich das eigenartige Aphrodisiak des Nordens zu spüren: 24 Stunden Dauersonne. Wow, nächtliches Sonnenbaden und abends erneut Sonnenschutzcreme auftragen. Am Äquator herrschen jeweils 12 Stunden Tag und 12 Stunden Nacht, aber hier, nördlich des Polarkreises, zeigt sich die Sonne im Winter *gar nicht, wogegen sie im Sommer nie untergeht. (*Kleine Korrekturanmerkung vom Siri und Master zum Sonne rauf und runter;  „Polarnacht“ wird der Zeitraum bezeichnet, in dem nördlich des Polarkreises die Sonne nicht über den Horizont steigt. Der Name ist ein bisschen irreführend, weil es nämlich außer direkt am Nordpol nicht die ganze Zeit über komplett dunkel ist. Dort, wo die Sonne noch einigermaßen in Horizontnähe ist, gibt es um die Mittagszeit noch etwas dämmerungsähnliches Licht. Der „Polartag“ ist dann entsprechend die Zeit, in der die Sonne ständig über dem Horizont bleibt, wodurch es nie richtig dunkel wird.)

Jan Mayen, 2007, Foto: Kb.Vollmar

“Einen Dank für die einsame Nacht, für die Berge, für das Rauschen der Finsternis und des Meeres, es rauscht durch mein Herz! Einen Dank für mein Leben, für meinen Atemzug, für die Gnade, heute Nacht leben zu dürfen, dafür danke ich von Herzen! Lausche nach Osten und lausche nach Westen, nein, lausche! Es ist der ewige Gott! Diese Stille, die gegen mein Ohr murmelt, ist das siedende Blut der Allnatur, Gott, der die Erde und mich durchwebt.”

-Knut Hamsun, “Pan”

Mitternachtssonne, Sörkapp, 2007 Foto: Kb. Vollmar

Dieses Licht der Sonne versetzt unserem Körper einen regelrechten Energieschub. Glückshormone wie Serotonin und Dopamin werden ausgeschüttet und bringt pure Lebensfreude, gleichzeitig stoppt es das »Schlafmützenhormon« Melatonin. Wir fühlen uns wacher, dynamischer, fröhlicher. Die Lust auf Sex steigt und wir werden flirtive.

Knut Hamsun hat diese Stimmung in seinen wunderbaren Nordlandromanen immer wieder beschworen und die eigentümliche Verrücktheit der Menschen zur Mittsommerzeit, ihre rauschhafte Lebens- und Liebeslust und ihre Schwärmerei beschrieben und unsterblich gemacht.

Die Nordlandschwärmer, der große Dichter Knut Hamsun, der Schriftsteller Lars Saabye Christensen und der Schauspieler Bjørn Floberg treffen auf einander in den wundertollen Film, “Der Telegrafist”.

“Jetzt war es Frühling, und Rolandsen mußte eine Liebste haben; es war nicht leicht, ein so großes Herz zu bändigen.”

Knut Hamsun, „Schwärmer“

Als Ove Rolandsen in “Telegrafisten” nach Knut Hamsuns “Schwärmer” unter der Regie von Erik Gustavson und einem Drehbuch von Lars Saabye Christensen zog Floberg mehr als 300 000 Norweger in die Kinos. (Hallohallo-Anmerkung von Siri; dort wohnen ja nur ein paar Menschen!) “Er spielt richtig überzugend”, meint Dina, “mit einer starken sexuellen Ausstrahlung.”
Der Film ist auf Skarmøy bei Bodø gedreht worden um die besondere Atmoshpäre  Hamsuns Bücher einzufangen. Der Film wurde kontrovers diskutiert, hauptsächlich weil Hamsuns Frauenbild  angeblich nicht gerecht dargestellt wird. Im Film erscheinen die Frauen sehr frivol, fast Hurenhaft. Hamsun jedoch, beschrieb die Frauen als unerreichbare, mystische Wesen. Wollt Ihr reinschauen?

Der Polarforscher Frederic A. Cook machte 1897 über die grönländischen Inuit folgende recht eindrückliche Beobachtungen: »Kurze Zeit nach Rückkehr der Sonne werden sie von einem regelrechten sexuellen Rausch erfasst. Er kommt mit solcher Gewalt und so plötzlich über sie, dass sie häufig tagelang vor Leidenschaft beben. Das Ganze gipfelt während der ersten Sommertage geradezu in einer Orgie der Fleischeslust, bei der aus Dankbarkeit und in guter Absicht häufig auch Ehepartner ausgetauscht werden«.

Mitternachtssonne, Jan Mayen, 2007 Foto: Kb.Vollmar

Der Master ist auch mit der Lichteinwirkung im Norden bestens vertraut, seine eigene Worte:
“Der Lichtmangel in der Polarnacht setzt die Fruchtbarkeit bei Frauen herab, da die Melatoninausschüttung lichtabhängig ist. Bei Dunkelheit wird derart viel Melatonin ausgeschüttet, dass eine Befruchtung unwahrscheinlich wird. Ich lebte damals in Finnland unter 20jährigen und war selber so alt. Wir waren alle sexuell aktiv während der Polarnacht. Die Mädchen erzählten bei der schüchternen Frage nach Verhütung etwas von ihrem Rhythmus, der durch das Zirbeldrüsenhormon Melatonin abgeschaltet wäre, aber so richtig wussten sie es nicht zu erklären. Auf jeden Fall keine verhütete und keine wurde schwanger. Man liest allerorten, Dunkelheit solle Unlust erzeugen, naja, gemessen am sommerlichen Paarungsverhalten der arktischen Völker stimmt das. Wenn ich beschreiben würde, was ich an einer finnischen Schule zu Mittsommernacht erlebte, würde das jeder Leser – und die Leserinnen erst recht – als die Fantasien eines dirty old man ansehen.”

Da bleiben wir doch lieber bei den Vögeln :-):

In der Nacht wurden die Pfarrersleute von Gesang geweckt.
So etwas war noch nicht vorgekommen.
Der Gesang drang unten vom Hof herauf.
Die Sonne stand über der Erde;
die Möwen waren erwacht; es war drei Uhr.

Knut Hamsun, „Schwärmer“

Mitternachtssonne auf Spitzbergen, 2007, Foto: Kb. Vollmar

Anmerkungen: Mit F.A. Cook und K. Hamsun haben wir zwei fragwürdige Persönlichkeiten angeführt: Hamsun war vom Faschismus fasziniert. Er besuchte Hitler auf dem Obersalzberg, mit dem er sich wegen des norwegischen Reichskommissars Terboven stritt. Demnächst schreiben wir ausführlicher über den Menschen Knut Hamsun. Hamsun ist so umstritten wie kaum ein anderer Nobelpreisträger. Seine politische Haltung während der Zeit der Okkupation Norwegens war Grund genug, ihn 1945 zu inhaftieren und schließlich – nach einer Haftzeit von zwei Jahren, die er zunächst in einem Krankenhaus, dann in einem Altersheim und schließlich in einer Psychiatrischen Klinik verbringen musste – im Jahr 1948 vor Gericht zu stellen. Grund genug, mehr über ihn zu erfahren, wie Siri bemerkte. 🙂

Frederick Cook, der zuvor mit Roald Amundsen in der Arktis war, gab vor, den Nordpol über Land erreicht zu haben, was jedoch nicht stimmen konnte. Er stritt sich auf bizarre Weise mit Peary, wer von beiden auf dem Nordpol stand. Es gilt heute als sicher, dass es keiner von beiden auch nur in die Nähe des Pols gelangte. Wer war der Erste auf den Nordpol? Darüber gibt es Abstimmungen! Auf wen hättet Ihr wohl gestimmt? 🙂

5 thoughts

  1. “Bei Dunkelheit wird derart viel Melatonin ausgeschüttet, dass eine Befruchtung unwahrscheinlich wird” —– hm, hm, dann schließen also im Norden die Geburtsstationen der Krankenhäuser von von August bis Oktober? Nur eine einzige Hebamme hat Notdienst – für die, die die Weihnachtsferien zwecks Befruchtung in den Tropen verbracht haben ….

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  2. Liebe Samtmur, ganz, ganz lieben Dank! 🙂 Ich fühle mich geehrt, Siri und Selma hüpfen mit vor Freude, drehen Freudenloopings. So ein Award macht ganz schön viel Wind! 🙂 Master sagt vielen Dank für Knipsilob, liebe Grüße von uns, Dina

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